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Warum der biopsychosoziale Ansatz die Schmerztherapie nachhaltig verbessert

05.09.2025 Schmerz ist mehr als ein körperliches Signal – er ist ein komplexes Zusammenspiel von Biologie, Psyche und sozialem Umfeld. Doch wie lässt sich dieses Wissen in die Praxis übertragen? Der Fachkurs «Schmerz: Biopsychosozial, individuell, präventiv» vermittelt, wie Fachpersonen aus Gesundheitsberufen durch einen ganzheitlichen Ansatz die Lebensqualität von Betroffenen nachhaltig verbessern können.

Das Wichtigste in Kürze

  • Das biopsychosoziale Schmerzmodell ist eine evidenzbasierte Herangehensweise, die körperliche, psychische und soziale Faktoren gleichwertig berücksichtigt.
  • Im Fachkurs «Schmerz: Biopsychosozial, individuell, präventiv» erwerben Teilnehmende konkrete Tools für die interdisziplinäre Zusammenarbeit, von Assessment-Methoden bis zu individuellen Therapieplänen.
  • Ideal für Pflegefachpersonen, Ärzt*innen, Psycholog*innen, Physio- und Ergotherapeut*innen, die ihre Kompetenz in der Schmerzbehandlung erweitern und Patient*innen langfristig helfen wollen.

Das Fallbeispiel

Monika Huber, 38 Jahre alt, verheiratet, Mutter zweier Kinder im Primarschulalter, leidet seit Jahren unter Schmerzen im unteren Rückenbereich ohne spezifische Diagnose. Dreimal wechselte sie bereits die Physiotherapeutin, praktizierte Yoga, Entspannungsübungen, nahm Schmerzmittel und begann eine Psychotherapie – jedoch ohne nennenswerte Linderung. Aus Angst vor einer Verschlimmerung vermeidet sie mittlerweile fast jede körperliche Betätigung. Den Alltag mit den Kindern und dem Haushalt kann sie kaum noch bewältigen, obwohl sie bereits ihre Teilzeitstelle aufgegeben hat, die ihr sehr am Herzen lag. Die andauernden Schmerzen, verbunden mit schlaflosen Nächten, chronischer Müdigkeit und zunehmender Hilflosigkeit führen bei ihr vermehrt zu emotionaler Erschöpfung. Sie bemerkt auch, wie sehr ihr Partner und ihre Kinder unter der Situation leiden. Zunehmend schlägt die anfängliche Anteilnahme aus ihrem Umfeld in Ratlosigkeit um – was in ihr das Gefühl verstärkt, zur Last zu fallen, und die Angst schürt, isoliert zu werden. Immer häufiger fühlt sie sich als Ehefrau, Mutter und Mitglied der Gesellschaft unzulänglich und lehnt ihren eigenen Körper ab. Verzweifelt fragte sie sich, ob das jetzt immer so weitergehen werde und was sie denn noch tun könne.

Beispielbild zum Thema Schmerz > Reissnägel

Monika Huber ist kein Einzelfall. Die International Association for the Study of Pain [IASP] (2019) zeigt auf, dass etwa ein Fünftel der Bevölkerung unter chronischen Schmerzen leidet, also Schmerzen, die länger als drei Monate andauern (IASP, 2019). Knapp die Hälfte dieser Personen empfindet sogar so starke Schmerzen, dass sie in ihrem privaten und Arbeitsalltag stark beeinträchtigt sind (Edmond et al. 2019). Häufig betroffene Stellen sind laut Rheumaliga Schweiz (2020) der untere Rücken, der Nacken, der Kopf (Migräne), der mittlere Rücken oder die Schultern/Arme. Bis zu 95% dieser Schmerzen sind unspezifisch, eine genaue Zuordnung zu einem Krankheitsbild ist also nicht möglich (Rheumaliga Schweiz, 2020).

Aufgrund dieser weitreichenden Problematik von chronischen Schmerzen in der Gesellschaft kommt Ärzt*innen, Physiotherapeut*innen, Pflegenden, Rheumatolog*innen und weiteren Gesundheitsfachpersonen bezüglich der Behandlung von betroffenen Personen eine entscheidende Rolle zu.

  • Claudia Poggiolini Dr. phil. im Bereich Gesundheitspsychologie und Gesundheitskommunikation, Dozentin Berner Fachhochschule

Die Konsequenzen chronischer Schmerzen

Wie das Fallbeispiel illustriert, gehen die Folgen von chronischen Schmerzen weit über das physische Erleiden hinaus. Langzeitfolgen von chronischen Schmerzen zeigen sich oft in Beeinträchtigungen des Schlafs, der kognitiven Prozesse und der Lebensqualität bis hin zu negativen ökonomischen Konsequenzen und reduziertem sozialem Wohlbefinden (Driscoll et al., 2021; Fine, 2011). Sehr häufig sind auch emotionale Konsequenzen bestehend aus Depressionen, Ängsten und Katastrophisieren (Gerrits et al., 2014), was wiederum die Schmerzproblematik verstärken kann (Asanova et al., 2024). Betroffene erleben zudem oft eine Stigmatisierung, sei es von Gesundheitspersonal, von der Gesellschaft, oder auch dem engeren Umfeld (De Ruddere & Craig, 2016).  

Auch für nahestehende Personen der Betroffenen ist die Situation meistens belastend: Laut einer qualitativen Übersichtsarbeit von Borthwick et al. (2024) fühlen sich Partner*innen von chronischen Schmerzpatient*innen häufig erschöpft und überfordert, hoffnungslos, ängstlich und frustriert oder traurig. Die Zukunftsplanung wird zur Herausforderung, auch ein Rückzug von Familie und Freunden ist keine Seltenheit, so dass es zu sozialer Isolation kommt. Auch erleben nahestehende Personen oft, dass sie vom Gesundheitssystem ausgeschlossen, und in ihrem Mitleiden und ihrer Verantwortung übersehen werden. (Borthwick et al., 2024).

Unsere Weiterbildung zum Thema

Der Fachkurs «Schmerz: Biopsychosozial, individuell, präventiv» wird von medizinischen und psychologischen Fachpersonen unterrichtet, ist interaktiv, und richtet sich an Gesundheitsfachpersonen, Betroffene und Angehörige. Folgende Aspekte werden thematisiert:

  • Entstehung und Warnfunktion von chronischem Schmerz
  • Faktoren, die zur Chronifizierung beitragen können
  • das biopsychosoziale Model
  • der Umgang von Gesundheitsfachpersonen mit Schmerzpatienten
  • die Situation von nahestehenden Personen und deren Umgang mit Schmerzpatienten
  • Entspannungstechniken, Selbstmanagementstrategien, Achtsamkeitsübungen
  • Interprofessionelle Zusammenarbeit von Gesundheitsfachpersonen

Die wichtige Rolle der Gesundheitsfachpersonen

Aufgrund dieser weitreichenden Problematik von chronischen Schmerzen in der Gesellschaft kommt Ärzt*innen, Physiotherapeut*innen, Pflegenden, Rheumatolog*innen und weiteren Gesundheitsfachpersonen bezüglich der Behandlung von betroffenen Personen eine entscheidende Rolle zu: Chronische Schmerzen gehen meist nicht auf eine einzige Ursache zurück, sondern sind komplex. Sie bestehen aus physischen, psychischen und sozialen Faktoren (Mills et al., 2019). Um die chronischen Schmerzen einordnen zu können, sollten Gesundheitsfachpersonen laut Mankelow et al. (2022) deshalb hinsichtlich des biopsychosozialen Modells (Gatchel, 2004) geschult werden. Weitere wichtige Aspekte bei der Behandlung und Beratung von Schmerzpatient*innen sind klare Empfehlungen und eine zuversichtliche, aufmerksame und zugewandte Haltung (Darlow et al., 2012; Grahl et al., 2022).

Laut Davidson (2022) ist zudem eine Zusammenarbeit von Gesundheitsfachpersonen aus verschiedenen Bereichen und der Einbezug der Patient*innen und deren Familien wichtig, was gemäss WHO (2010) als interprofessionelle Zusammenarbeit bezeichnet wird. Mehrere Studien zeigten positive Effekte von interprofessioneller Zusammenarbeit auf das Verständnis bezüglich der Schmerzproblematik bei Gesundheitsfachpersonen (Hassan et al., 2021) und auf gesteigertes Wohlbefinden von Schmerzpatient*innen (Kaiser et al., 2022).  Weiterhin kann der Einbezug und die Unterstützung von nahestehenden Personen die Adhärenz und den Therapierfolg erhöhen (Brown & Newton-John, 2022). Aber auch durch Eigenaktivität können Betroffene massgeblich zur Reduktion ihrer Schmerzproblematik beitragen: Laut Mann et al. (2013) ist die Akzeptanz des Schmerzes eine wichtige Grundlage, um Selbstmanagementstrategien anwenden zu können, die dann wiederum zu einer Reduktion des Schmerzes, höherer mentaler Gesundheit und Lebensqualität beitragen. Gesundheitsfachpersonen können dabei durch eine patientenzentrierte Versorgung mit Ermutigung zum aktiven Selbstmanagement unterstützend wirken (Cho et al., 2018).

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