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Bedarfsgerechte Pflege im Spital für ältere Menschen
19.06.2025 Die Anzahl hospitalisierter älterer Menschen steigt stetig. Doch sind Spitäler ausreichend auf ihre komplexen Bedürfnisse vorbereitet? Ein Doktoratsprojekt in Pflegewissenschaft erprobt dazu eine innovative Lösung: Das pflegegeleitete 4Ms-Programm.
Das Wichtigste in Kürze
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Viele Spitäler sind nicht auf die komplexen Bedürfnisse älterer Patient*innen ausgerichtet – das erhöht Komplikationen.
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Das 4Ms-Framework fokussiert auf individuelle Ziele, sichere Medikation, Delirprävention und Erhalt der Mobilität.
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Ein Schweizer Projekt testet ein pflegegeleitetes 4Ms-Programm zur besseren Versorgung älterer Menschen im Spital.

Mehr als ein Drittel aller Patient*innen, die im Jahr 2023 in ein Spital eingewiesen wurden, waren 65 Jahre alt oder älter (Bundesamt für Statistik [BFS], 2024). Dabei stellt diese Patient*innengruppe spezifische Anforderungen an ihren Spitalaufenthalt. Eine angepasste Spitalumgebung und Infrastruktur, verständliche Kommunikation, Empathie und ein optimales Schmerzmanagement sind ebenso wichtig wie die Aufrechterhaltung ihrer Mobilität, um nach der Entlassung in das gewohnte Umfeld zurückkehren zu können. Dabei bewerten ältere Patient*innen gerade die Beziehung zum Gesundheitsfachpersonal als entscheidend für ein positives Hospitalisationserlebnis, wie eine Untersuchung von Mudge et al. (2021) aufzeigt.
Konzeptionelle Neuausrichtung der Spitäler ist notwendig
Allerdings sind viele Spitäler konzeptionell noch nicht auf ältere Patient*innen mit ihren komplexen körperlichen und sozialen Bedürfnissen ausgerichtet. Das Gesundheitswesen fokussiert primär auf die Pflege und Behandlung von akuten Erkrankungen, während ältere Menschen oft an chronischen Krankheiten und Mehrfacherkrankungen leiden (z. B. Institute for Healthcare Improvement [IfHI], 2024). Dies erhöht das Risiko für Komplikationen. Beispielsweise sind ältere Patient*innen anfällig für unerwünschte Arzneimittelereignisse durch die gleichzeitige Einnahme von mehreren oder potenziell ungeeigneten Medikamenten. Eine nicht angepasste Medikation kann wiederum zu Stürzen oder Verwirrtheit führen. Zudem werden ältere Patient*innen häufiger unnötigen Interventionen ausgesetzt, wie der Einlage eines transurethralen Dauerkatheters, aus der eine Harnwegsinfektion resultieren kann. Auch ein Delir tritt bei älteren hospitalisierten Menschen häufig auf – so entwickelt eine*r von vier älteren Patient*innen während des Spitalaufenthalts einen akuten Verwirrtheitszustand (Gibb et al., 2020). Ein Delir kann langfristige Folgen haben und das Risiko für eine dauerhafte Pflegeabhängigkeit steigern. Darüber hinaus zeigen Studien, dass bis zu 30 Prozent der Patient*innen ab 65 Jahren während einer Hospitalisation die Fähigkeit verlieren, grundlegende Alltagsaktivitäten selbstständig auszuführen (Loyd et al., 2019), was wiederum die Dauer der Hospitalisation unnötig verlängern und die Rückkehr in ein unabhängiges Leben erschweren kann.
Das 4Ms-Framework: Ein neuer Ansatz in der Pflege
Eine Antwort auf diese Herausforderung könnte das 4Ms-Framework sein. Die vier Elemente zeigen auf, was in der Behandlung und Pflege von älteren Menschen wichtig ist und bilden eine gute Grundlage, um dieser Patient*innengruppe eine bedarfsgerechte Versorgung im Spital zukommen zu lassen (siehe Abbildung). Im Mittelpunkt steht die Frage, was für die Patient*innen am wichtigsten ist (What Matters). Ihre individuellen Bedürfnisse und Ziele sollen die Pflege und Behandlung leiten. Gleichzeitig wird der Prävention, Früherkennung und Behandlung eines Delirs während einer Hospitalisation ein hoher Stellenwert beigemessen (Mentation). Die gezielte Förderung der Mobilität (Mobility) hilft, Funktionsverluste zu vermeiden und die Selbstständigkeit zu bewahren. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die regelmässige Überprüfung der Medikation (Medication), um sicherzustellen, dass die verabreichten Medikamente keinen Einfluss auf die Mobilität (Mobility), die kognitiven Aktivitäten (Mentation) und auf das, was für die älteren Patient*innen wichtig ist (What Matters), nehmen (z. B. IfHI, 2024).
Das 4Ms-Framework wird durch ein interprofessionelles Team umgesetzt, wobei Pflegefachpersonen eine Schlüsselrolle einnehmen. Sie gestalten, planen und koordinieren die Patient*innenversorgung im interprofessionellen Team und sind deshalb prädestiniert, eine führende Rolle bei der Umsetzung des 4Ms-Framework zu übernehmen. Dazu bieten sich beispielsweise pflegegeleitete (nurse-led) Modelle an. Diese umfassen die Erbringung und Koordination der Pflege unter der Führung von Pflegefachpersonen in erweiterten Rollen (z. B. Advanced Practice Nurses) (Khair & Chaplin, 2017).

Anpassung an die Schweiz: Das pflegegeleitete 4Ms-Programm
Bevor das 4Ms-Framework in der Schweiz eingeführt werden kann, muss es zuerst an die spezifischen Gegebenheiten des Gesundheitswesens angepasst werden. Im Rahmen eines Doktoratsprojekts mit dem Praxispartner Lindenhofgruppe soll das 4Ms-Framework zuerst in ein pflegegeleitetes Programm adaptiert und anschliessend auf zwei Abteilungen eingeführt und evaluiert werden. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen dabei helfen, eine bedarfsgerechte, evidenzbasierte und koordinierte Versorgung zu etablieren. Das pflegegeleitete 4Ms-Programm bietet dabei einen vielversprechenden Ansatz, um die Gesundheitsversorgung von älteren Menschen im Spital zukunftsfähig zu gestalten – mit Pflegefachpersonen als treibende Kraft.
Das Doktorat wird betreut durch Frau Univ.-Prof. Mag. Dr. Hanna Mayer von der Universität Wien und Prof. Dr. Sabine Hahn von der Berner Fachhochschule, Departement Gesundheit. Als Praxispartner beteiligt sich die Lindenhofgruppe.
Referenzen
Referenzen
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- Khair, K., & Chaplin, S. (2017). What is a nurse-led service? A discussion paper. The Journal of Haemophilia Practice, 4(1), 4–13.
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