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Das Potenzial digitaler Hilfen für mehr Autonomie im Alter
06.10.2025 Apps und Wearables können das selbstbestimmte und gesunde Altern unterstützen – vorausgesetzt, sie sind inhaltlich hochwertig, berücksichtigen die Lebensrealitäten älterer Menschen und schützen vor Fehlinformation sowie Datenschutzverletzungen.
Das Wichtigste in Kürze
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Digitale Hilfen fördern Selbständigkeit, Sicherheit und soziale Teilhabe im Alter.
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Es gibt aber kaum Standards, keine überschaubares Angebot und Datenschutz- und Qualitätsmängel.
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Die Empfehlungen sind klare Qualitätskriterien, einfache Bedienung und Einbindung älterer Menschen.
Den Wunsch, möglichst lange in der vertrauten Umgebung unabhängig und sicher zu altern, teilen die meisten Menschen. Hier bieten Apps und Wearables – etwa Smartwatches oder Fitnessarmbänder – viel Potenzial. Sie unterstützen beispielsweise soziale Kontakte oder die tägliche Bewegung und erhöhen durch Alarmfunktionen die Sicherheit. Zudem sind sie kostengünstig, einfach zu bedienen und nicht stigmatisierend. Sie stärken nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern auch das Gefühl von Selbstbestimmung und Teilhabe – was zentrale Aspekte einer personenzentrierten Versorgung sind.
In der Schweiz fehlen verbindliche Richtlinien für die Entwicklung, Veröffentlichung und Vermarktung solcher Technologien, solange sie nicht als Medizinprodukte gelten. Es gibt keine Vorgaben zur inhaltlichen Qualität, Wirksamkeit oder Nachhaltigkeit. Die Nutzenden entscheiden oft selbst, welche Tools sie für welchen Zweck einsetzen. Angesicht der kaum überschaubaren Vielzahl an Angeboten und der teils unklaren Qualität ist das eine Herausforderung.

Sieben Themenbereiche und unzählige Apps
Das von der BFH und der ZHAW durchgeführte Forschungsprojekt «Digitale Alltagshilfen zur Unterstützung der Autonomie im Alter» hatte zum Ziel, aus Sicht der betroffenen Personen zu verstehen, welche digitalen Hilfen ihren Alltag tatsächlich verbessern. Dabei standen folgende Fragen im Zentrum: Wie können Apps und Wearables ältere Menschen im Alltag unterstützen? Welche Vor- und Nachteile hat der Einsatz? Welche Voraussetzungen sollten sie erfüllen? Wie hoch ist die Qualität von Apps und Wearables in der Schweiz?
Die Forscher*innen führten Interviews und Fokusgruppen mit älteren Menschen, ihren Angehörigen, Gesundheitsfachpersonen und Expert*innen durch, um konkrete Bedürfnisse, Erfahrungen und Erwartungen systematisch zu erfassen. Dabei identifizierten sie sieben zentrale Themenbereiche, in denen digitale Technologien älteren Menschen Unterstützung bieten können.
- Alltagsunterstützung
- Soziale Interaktion und Kommunikation
- Aktivität und Mobilität
- Sicherheit und Notfallmanagement
- Gesundheitsinformation
- Gesundheit und WohlbefindenFrüherkennung und Diagnostik
Als Hindernisse für die Nutzung dieser Hilfen wurden die niedrige inhaltliche Qualität, die fehlende Nutzerzentrierung und die ungenügende Bedienbarkeit genannt. Auch gibt es verbreitete Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der Datensicherheit. Als weitere Spannungsfelder wurden die dynamische Entwicklung der Technologien und der individuelle Alterungsprozess identifiziert.
Die Qualitätsanalyse der in der Schweiz kommerziell verfügbaren Apps und Wearables zeigte auch, dass die App-Stores eine kaum überschaubare Vielzahl an Apps anbieten. Doch nur ein sehr kleiner Teil ist tatsächlich für ein selbstbestimmtes und gesundes Altern relevant. Und es bestehen sehr grosse Unterschiede hinsichtlich der Inhalte, Qualität und Sicherheit dieser Apps und Wearables. Die gute Nachricht: Für jeden der sieben Themenbereiche ist mindestens eine App oder ein Wearable mit hoher Qualität verfügbar.
Geringe Nachhaltigkeit
Während des Projekts wurde deutlich, wie schnell sich der Markt verändert. Bereits innerhalb weniger Monate war ein Teil der analysierten Apps und Wearables nicht mehr verfügbar. Diese Unbeständigkeit und verminderte Nachhaltigkeit stellen eine grosse Hürde für die Nutzung dar. Damit Apps und Wearables zur Unterstützung des selbstbestimmten Alterns eingesetzt werden können, müssen sie zuverlässig funktionieren und beständig sein. Auf eine App zur Medikationserinnerung oder ein Wearable zur Sturzerkennung muss man sich verlassen können.
Die fehlenden Richtlinien und die Vielzahl an Angeboten machen es für Nutzende schwierig, passende Apps und Wearables zu erkennen und auszuwählen. Eine der zentralen Handlungsempfehlungen des Projekts ist daher die Einführung verbindlicher Qualitätskriterien. Zudem braucht es unabhängige Stellen, die Inhalte und Nutzbarkeit prüfen und diese Informationen zugänglich machen. Die Inhalte von Apps und Wearables sollten zudem auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und deren Nutzbarkeit sollte überprüft worden sein.
Qualitätsansprüche älterer Menschen
Älteren Menschen ist es besonders wichtig, dass digitale Hilfen einfach und intuitiv zu bedienen sind. Die im Projekt formulierten Nutzungsempfehlungen zeigen auf, worauf bei der Auswahl geachtet werden sollte – etwa anpassbare Schriftgrössen, eine übersichtliche Darstellung mit wenig Text, verständliche Datenschutzerklärungen und klare Informationen zur Datenspeicherung. Die Nutzenden müssen darüber entscheiden können, mit wem sie welche Daten teilen.
Da ältere Menschen selbst am besten wissen, wofür sie digitale Hilfen einsetzen möchten, sollten sie von Beginn an in den Entwicklungsprozess eingebunden werden. Dieser personenzentrierte Ansatz stärkt die Passgenauigkeit der Apps und stellt sicher, dass Barrierefreiheit, Zugänglichkeit und Alltagstauglichkeit berücksichtigt werden.
Literatur
Personzentrierte Gesundheitsversorgung – Vision oder Realität?
Personzentrierte Versorgung stellt die individuellen Bedürfnisse, Werte und Lebensumstände der Patient*innen ins Zentrum medizinischer Entscheidungen. Sie gilt als Schlüssel zu einer menschlicheren, wirksameren und nachhaltigeren Gesundheitsversorgung, doch der Weg dorthin ist komplex. Zwischen Idealbild und Alltagspraxis gilt es, Chancen und Hürden realistisch abzuwägen: Wie lassen sich Strukturen, Abläufe und Haltungen verändern, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen? Unsere Beiträge zeigen anhand konkreter Projekte, wo dies bereits gelingt, welche Stolpersteine es noch zu überwinden gilt und welche Schritte nötig sind, um Person-centered Care im Gesundheitswesen zu verankern.