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Innovative Versorgungsmodelle für ländliche Regionen

12.06.2025 In ländlichen Regionen sind die Herausforderungen der Gesundheitsversorgung besonders spürbar. Gleichzeitig gibt es innovative Lösungsansätze, die zeigen, wie eine nachhaltige Versorgung auch in peripheren Regionen gesichert werden kann.

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Fachkräftemangel gefährdet die Versorgung im ländlichen Raum.

  • Vernetzte Modelle wie «Gesund i.E.» im Emmental zeigen Lösungen.  

  • Advanced Practice Nurses und Digitalisierung bieten neue Versorgungschancen.  

Die Gesundheitsversorgung in der Schweiz steht insbesondere in ländlichen Regionen vor grossen Herausforderungen. Grundversorger*innen spielen eine zentrale Rolle in der medizinischen Erstversorgung und behandeln rund 90 Prozent aller Konsultationen abschliessend, doch gerade in peripheren Gebieten mangelt es an Nachwuchs. Der demografische Wandel verschärft das Problem: Die Hälfte der berufstätigen Ärzt*innen ist über 50 Jahre alt. Viele gehen in den Ruhestand, ohne dass eine Nachfolge gefunden wird. Dadurch weichen Patient*innen immer häufiger auf Spezialist*innen oder Spitäler aus, was zu einer Fragmentierung der Versorgung führt. Die Auswirkungen sind für alle Beteiligten spürbar: längere Wege für Patient*innen, steigende Wartezeiten und eine erschwerte Koordination zwischen den Leistungserbringenden. Informationsverluste und Doppelspurigkeiten sind die Folge, was die Kosten im ohnehin belasteten Gesundheitssystem weiter in die Höhe treibt.

Vernetzung als Schlüssel zur besseren Versorgung

Ein Lösungsansatz ist die stärkere Vernetzung der bestehenden Versorgungsstrukturen. Durch die koordinierte Zusammenarbeit von medizinischen Praxen, Spitex, Spitälern und weiteren Gesundheitsdienstleister*innen kann eine integrierte Versorgung erreicht werden. Ein erfolgreiches Beispiel ist das «Gesundheitsnetz Emmental». Der Verein «Gesund i.E.» arbeitet dort mit Spitexorganisationen, Hausärzt*innen, Langzeitpflegeinstitutionen und dem Spital Emmental zusammen, um die Abstimmung innerhalb der Versorgungskette zu verbessern. Ziel ist es, Doppelspurigkeiten zu vermeiden und eine effizientere Behandlung sicherzustellen – insbesondere für Menschen mit chronischen Erkrankungen.

Patrik Walther, Co-Präsident des Vereins «Gesund i.E.» und Geschäftsführer der Alterszentrum Sumiswald AG, betont die Bedeutung einer integrierten Herangehensweise: «Eine gut abgestimmte Zusammenarbeit entlang der gesamten Versorgungskette ist entscheidend, um die Qualität der Behandlung zu gewährleisten und das Gesundheitssystem nachhaltig zu entlasten» (siehe umfassendes Interview unten). Die BFH begleitet das Gesundheitsnetz Emmental wissenschaftlich und arbeitet seit 2022 an der Weiterentwicklung des Modells, um praxisnahe Lösungen für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung zu erarbeiten.

«Das Gesundheitsnetz soll Doppelspurigkeiten eliminieren und eine abgestimmte Behandlung entlang der gesamten Versorgungskette ermöglichen, was besonders bei chronischen Erkrankungen wichtig ist.»

  • Patrik Walther Präsident von «Gesund i.E.»

Neue Berufsrollen: Advanced Practice Nurses als Chance

Insbesondere koordinierende Ansprechpersonen, welche die Patient*innen aufsuchen, begleiten, betreuen und behandeln, spielen innerhalb des zukünftigen Versorgungssystems auf dem Land eine entscheidende Rolle. Die BFH bildet hierfür seit 2010 Advanced Practice Nurses (APN) auf Master-Stufe aus. Bereits heute übernehmen diese hoch qualifizierten Pflegefachpersonen Schlüsselaufgaben in Praxen, der Spitex, der Akut- und Langzeitversorgung. Trotz des Potenzials dieser Berufsgruppe ist ihr Einsatz in der Schweiz noch begrenzt. Zwar steigt die Zahl der ausgebildeten APN, doch rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen sind noch nicht abschliessend geklärt. Berufsverbände, wie der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK), der Verein für Pflegewissenschaft (VfP) sowie Leistungserbringende setzen sich daher für eine klare rechtliche Verankerung dieser Rolle ein. So ist derzeit viel in Bewegung, um den Master-Abschluss in der Pflege zu regulieren und die APN in das Schweizer Gesundheitssystem zu integrieren, damit ihr Einsatz wirtschaftlich attraktiver wird. 

Systeme zur Unterstützung der Versorgung

Auch die Digitalisierung kann die Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen verbessern, so z. B. durch den Ausbau telemedizinischer Versorgungsstrukturen oder den flächendeckenden Einsatz eines elektronischen Patientendossiers. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz könnte die Wegleitung von Patient*innen optimieren, indem sie gezielt an die jeweils passende Versorgungsebene weitergeleitet werden. Programme wie «Care@home» zeigen, dass auch komplexe Behandlungen mit technologischer Unterstützung in der häuslichen Umgebung durchgeführt werden können – eine Alternative zu stationären Aufenthalten. Darüber hinaus gibt es im Kanton Bern unter Federführung der BFH bereits Pilotprojekte zum Einsatz von «School Nurses» in Schulen, die nicht nur Lehrpersonen entlasten, sondern auch die gesundheitliche Betreuung von Kindern und Jugendlichen verbessern sollen.

Damit solche Modelle erfolgreich umgesetzt werden können, braucht es eine bessere Koordination zwischen den Leistungserbringenden, neue Finanzierungsmodelle und den politischen Willen. «Wir möchten agieren statt reagieren», sagt Patrik Walther. Das Gesundheitsnetz Emmental ist ein erster Schritt auf dem Weg zu einer koordinierten Versorgung, die sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientiert. 

Autor*innen:

Prof. Dr. Christian Eissler, Leiter MSc Pflege BFH
Nicole Schaffner, Kommunikation BFH

«Gesundheitsversorgung im Emmental stärken»

Patrik Walther, Präsident von «Gesund i.E.», spricht im Interview über die zentrale Aufgabe des Vereins, die Gesundheitsversorgung im Emmental zu sichern. Er erklärt, wie das Gesundheitsnetz Emmental die Zusammenarbeit zwischen den Dienstleister*innen stärkt und welche Lösungen gegen Fachkräftemangel, Komplexität und steigende Kosten angestrebt werden.

Porträt Patrik Walther

Patrik Walther, «Gesund i.E.» wurde gegründet, als die Schliessung des Spitals Emmental drohte. Dies ist nun nicht mehr im Fokus. Was ist heute die zentrale Aufgabe des Vereins?

Der Verein «Gesund i.E.» setzt sich für den Erhalt und die Weiterentwicklung einer umfassenden, koordinierten Gesundheitsversorgung im Emmental ein. Er agiert als Bindeglied zwischen den verschiedenen Gesundheitsanbietern und als Plattform für die Bevölkerung. Zudem organisiert der Verein Veranstaltungen zu Gesundheitsthemen, in der Vergangenheit etwa zur Spitalstandort-Initiative oder zu Fachthemen wie Palliative Care und Betreuung von Menschen mit Demenz.

Zusammen mit anderen Gesundheitsorganisationen haben Sie das Gesundheitsnetz Emmental gegründet. Mit welchem Ziel? 

In Anlehnung an die Gesundheitsstrategie des Kantons Bern sind die vier vom Kanton definierten Regionen dazu angehalten, eine koordinierte Gesundheitsversorgung anzustreben. Im Emmental haben das Spital Emmental, die vier Spitexorganisationen, die Hausärzt*innen und acht Langzeitorganisationen zusammen mit der Regionalkonferenz in einer Absichtserklärung vereinbart, dass sie die Gesundheitsversorgung im Emmental effizienter und zukunftsgerichtet gestalten wollen. Ziel ist es, eine koordinierte Gesundheitsversorgung im Emmental zu gewährleisten. Das Gesundheitsnetz soll Doppelspurigkeiten eliminieren und eine abgestimmte Behandlung entlang der gesamten Versorgungskette ermöglichen, was besonders bei chronischen Erkrankungen wichtig ist.

Wie begegnet das Gesundheitsnetz Emmental den Herausforderungen Fachkräftemangel, Komplexität und Kosten?

Die verschiedenen Versorgungsbereiche müssen enger zusammenarbeiten und Leistungen dort anbieten, wo sie am effektivsten sind. Fachkräfte sollen unter den Dienstleister*innen geteilt werden, und die IT-Systeme müssen so miteinander verknüpft werden, dass die heute noch vorhandenen Medienbrüche behoben werden. Es braucht zudem mehr ambulante Versorgungsformen und neue Versicherungsmodelle.

 Was braucht es für das Gelingen? 

Es braucht den politischen Willen und die Bereitschaft der Leistungserbringenden, das Gesundheitsnetz Emmental in diese Richtung zu steuern und dazu auch personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Zudem sind eine professionelle Projektorganisation und die monetäre Unterstützung durch den Kanton notwendig.

Neue Wege im Gesundheitswesen

Das Schweizer Gesundheitssystem steht vor Herausforderungen, die mutige neue Wege erfordern. In einer Reihe von Beiträgen präsentieren wir Forschungsprojekte der Berner Fachhochschule, die praxisorientierte Lösungen entwickeln – von innovativen Versorgungsmodellen über digitale Assistenzsysteme bis hin zu nachhaltigen Finanzierungsansätzen.

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