• Master of Arts in Contemporary Arts Practice

Porträt Lorenz Oehler

"Die Zeit an der Hochschule ist Gold wert. Es lohnt sich, sie zu geniessen, wann immer sich die Gelegenheit bietet, denn wo kann man schon im geschützten Rahmen so ausführlich Ideen austesten wie während des Studiums. Zudem steht ja erst noch das gebündelte Wissen der Mitstudierenden und Dozierenden zur Verfügung, eine lebendige Luxusbibliothek quasi." Im Interview erzählt der passionierte Kaffeeliebhaber, was er aus seiner Studienzeit mitgenommen hat, um sein eigens Start-up zu gründen.

Was haben Sie aus dem Studium an der BFH mitgenommen?
Mein zweites Kleinstunternehmen hat ja nicht direkt mit dem Studium zu tun, sondern vielmehr mit den ziemlich schlechten Verdienstaussichten im Bereich des literarischen Übersetzens. Was an einem Studium aber immer wunderbar ist und eben nicht verloren geht: Man setzt sich viel vertiefter als gewöhnlich mit einem oder mehreren Wissensgebieten auseinander. Diese Intensität, die konzentrierte Arbeit ist etwas Wunderbares und die daraus gewonnenen Erfahrungen (hoffentlich) meist übertrag- und vielseitig einsetzbar.

Was hat Ihnen rückblickend während Ihrer Studienzeit an der BFH gefehlt?
Meine Antwort schliesst nahtlos an die vorherige an: Zeit. Es wäre schön gewesen, mehr davon zur Verfügung zu haben, die vorhandene Zeit also vollumfänglich ins Studium zu stecken, statt etwa ins Geldverdienen. Für mich (und wohl auch viele andere) sah (sieht) die Realität so aus, dass nebenher Geld herangeschafft werden muss, weils sonst Ende Monat halt nicht aufgeht. Ich hätt meine Fühler gerne zusätzlich stärker in Richtung bildende Kunst ausgestreckt und während des Studiums mehr Zeit in der hochschuleigenen Werkstatt verbracht. Lag aber schlicht nicht drin.

Wie sieht Ihre aktuelle berufliche Tätigkeit aus?
Ich bin quasi doppelt selbständig, d. h. auf zwei Gebieten: einmal als Übersetzer/Lektor/Korrektor und einmal eben als Gastrofritze. Das Übersetzungsbüro betrieb ich schon vor dem Studium, das Kafiwägeli kam nachher dazu.

Sie haben mit Il Macchinista Ihr eigenes Start-up gegründet. Wie ist die Idee der Kaffeebar auf einer Piaggio Ape entstanden und wie hat sich das Start-up entwickelt?
Das ist tatsächlich sehr einfach zu beantworten. Ich sammle und renoviere seit geraumer Zeit Kaffeemaschinen, vor allem italienische, vorwiegend aus den 50er-Jahren. Das eine führte zum nächsten und plötzlich stand da ein Kaffeemobil. Das Ganze war nicht zuletzt eine wunderbare Ausrede, mir eine Ape zu kaufen, die fand ich nämlich als Kind schon toll. Da ich sie selbst ausgebaut habe, präsentiert sich das Resultat nun weitgehend so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Diese Authentizität kommt beim Publikum gut an. Nicht nur schnöde Koffeinversorgung also, sondern ein Stück weit ein Hochhalten der guten alten Kaffeehauskultur, ein Inszenieren des Cafés als Begegnungsort. Das äussert sich zum Beispiel so, dass Stammkunden sich abmelden, bevor sie in die Ferien gehn – damit ich mir keine Sorgen mache.

War der Weg in die Selbständigkeit schon immer Ihr Ziel?
Da ich, soweit ich zurückdenken kann, mit einer guten Portion Obrigkeits- und Autoritätsungläubigkeit ausgestattet bin, war das wohl unvermeidlich. Ich lass mir nicht allzu gerne sinnbefreite Tätigkeiten verordnen, wie das nun mal in den meisten Jobs mehr oder minder häufig passiert. Ganz kann ich mich davor natürlich trotzdem nicht drücken, verordne mir diese nun aber immerhin selbst, wenns denn sein muss.

Was war auf Ihrer beruflichen Laufbahn Ihr prägendstes Ereignis?
Ein Unfall, der mir im Alter von gut dreissig Jahren sämtliche vorherigen Erwerbsmöglichkeiten nahm. Wünsch ich niemandem, wirklich absolut nicht zu empfehlen, nicht im Geringsten.

Sind Sie Mitglied in einer Alumni-Organisation? Was ist für Sie ein Mehrwert der Alumni-Arbeit an Hochschulen?
Ich habe mich nie aktiv um die Mitgliedschaft in einer Alumni-Organisation bemüht – was, da ich nicht in Bern wohne, auch ein wenig der Entfernung bzw. dem Weg geschuldet ist, da für mich Beziehungen eigentlich nur im persönlichen Austausch wirklich funktionieren. Als diesbezügliches Analogwesen hab ich deshalb leider keine Antwort für Euch in petto.

Welchen Rat geben Sie aktuellen und künftigen Studierenden mit auf den Weg?
Hmm, ich erlaube mir, mit etwas Distanz und da ich meinen Master erst Mitte dreissig begonnen habe zu sagen: Schaufelt Euch Zeit frei, wann immer Ihr könnt, steckt sie ins Studium und geniesst die Zeit in vollen Zügen – was am CAP zugebenermassen leicht fällt, da eine sehr anregende Atmosphäre herrscht. Schlagt auch mal über die Stränge, wenn’s angesagt ist, und probiert dann mit oder ohne Brummschädel weiter neue Dinge aus. Die Zeit kommt in den allermeisten Fällen nicht wieder, weil die äusseren Zwänge meist zunehmen und ein zweites oder drittes Studium schon rein zeit- und geldtechnisch für die Wenigsten drinliegt – oder ziemlich aufwendig erarbeitet werden muss.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Ich hab in den letzten Jahren nicht furchtbar viel Freizeit gehabt. Wenn ich welche habe, geniess ich sie mit Freunden oder tüftle an irgendwelchen technischen Dingen oder Designfragen rum, gestalte und baue Möbel oder Ähnliches – und ich koch gerne, eigentlich täglich. Vor allem aber verreise ich gerne mit meiner Frau und finde unterwegs ab und zu eine alte Handhebelmaschine zum Renovieren (Wink mit dem Zaunpfahl: falls jemand eine im Keller hat, bitte melden).

Gibt es noch etwas, was Sie anderen Alumni mitteilen möchten?
Hmm. Genius wird manchmal vielleicht ein wenig über-, Beharrlichkeit unterschätzt. Dranbleiben ist zwar nicht immer furchtbar attraktiv, eröffnet einem aber immer wieder neue Sichtweisen. Und wenn dann nichts, aber auch wirklich gar nichts aus einer Sache wird, lässt man sie halt sein, bevor man nur noch genervt ist – und kramt eine andere Idee hervor, die auf Umsetzung wartet. Das erworbene Wissen kann man, solange man ein wenig beweglich bleibt, ja auch immer auf neue Ideen übertragen.

(Stand des Interviews: August 2021)