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Für mehr Freiheit von Patient*innen im Spital
22.04.2025 In Spitälern werden regelmässig Massnahmen zum Schutz von Patient*innen eingesetzt, die deren Freiheit beschneiden. Ein Projekt der BFH untersuchte, wie sich der Schutz ohne Einschränkungen erreichen lässt.
Das Wichtigste in Kürze
- Spitäler wenden zum Schutz von Patient*innen immer wieder freiheitseinschränkende Massnahmen an.
- Eine Studie der BFH zeigt, dass sich mit einem Einbezug von Patient*innen die Einschränkungen auf die Hälfte reduzieren lassen.
- Während Patient*innen positiv reagieren, zeigen sich Fachpersonen eher skeptisch.
Warum haben die Forschenden das Projekt durchgeführt?
Pflegefachpersonen wenden in Spitälern regelmässig so genannte freiheitseinschränkende Massnahmen an, um Patient*innen beispielsweise vor Stürzen zu schützen. Dies, obwohl bisher nicht belegt ist, dass solche Massnahmen tatsächlich zum Schutz von Patient*innen beitragen. So nimmt beispielsweise das Risiko für Stürze zu, je länger eine Person im Bett liegen muss und sich nicht bewegen kann. Den Pflegefachpersonen fehlt es oft an Wissen oder Ideen, welche Alternativen sie anwenden könnten, um die Freiheit von Patient*innen nicht beschneiden zu müssen.
Was ist unter freiheitseinschränkenden Massnahmen zu verstehen?
Dazu gehören unter anderem das Festbinden von Patient*innen am Bett, das Hochziehen von Bettgittern oder elektronische Systeme, die Alarm auslösen, wenn ein*e Patient*in ohne Begleitung aufsteht. Betroffen von solchen Massnahmen sind vorwiegend ältere Menschen. Zum einen weisen sie eine höhere Sturzgefahr auf, zum anderen führen Narkosen bei ihnen eher zu Verwirrtheit als bei jungen Menschen. Auch eine Demenzerkrankung kann ein Grund sein für den Einsatz von freiheitseinschränkenden Massnahmen.
Der Einbezug von Patient*innen war für Fachpersonen zeitintensiv.
Wie sind die Forschenden vorgegangen?
Die Forschenden entwickelten mit Vertreter*innen von Patient*innen und Fachpersonen ein Vorgehen, das sich in der Psychiatrie und der Langzeitpflege als wirksam erwiesen hat. Dabei werden die Patient*innen einbezogen, wenn es darum geht, Alternativen zu entwickeln, um freiheitseinschränkende Massnahmen möglichst zu verhindern.
Während eines Monats liessen die Forschenden das Vorgehen auf der Abteilung für Medizin und Chirurgie eines Spitals im Kanton Bern testen. Die Pflegefachpersonen besprachen beim Spitaleintritt mit Patient*innen das vorhandene Risiko für den Einsatz von freiheitsbeschränkenden Massnahmen und legten gemeinsam mit ihnen die Alternativen fest, die bei Bedarf angewendet werden sollten.
Zu welchen Ergebnissen ist die Studie gekommen?
Der Anteil der freiheitseinschränkenden Massnahmen reduzierte sich auf der Abteilung von rund 10 Prozent auf knapp 5 Prozent. Gleichzeitig wurden wesentlich mehr alternative Interventionen dokumentiert. Während die Reaktionen der Patient*innen durchwegs positiv waren, äusserten sich die Fachpersonen skeptischer, da für sie der Einbezug von Patient*innen zeitintensiv war. Angesichts der kurzen Dauer des Projektes und der dadurch vergleichsweise geringen Zahl Patient*innen muss die Wirkung in einem grösseren Projekt noch bestätigt werden.
Welches war die grösste Herausforderung, die es zu überwinden galt?
Die Arbeitssituation in der Pflege erwies sich als grösste Herausforderung. Jede Veränderung in den Abläufen der Fachpersonen bringt anfänglich einen erhöhten Aufwand mit sich, was die oft unter Druck stehenden Pflegenden im Moment stärker gewichten als den langfristigen Nutzen, der mit einem neuen Vorgehen erzielt werden könnte. Gerade die langfristigen Vorteile des neuen Vorgehens waren für die Pflegenden zu wenig klar erkennbar.
Alternativen zu freiheitseinschränkenden Massnahmen erhöhen die Qualität der Gesundheitsversorgung.
Welchen Nutzen hat das Projekt für die Gesellschaft?
Alternativen zu freiheitseinschränkenden Massnahmen erhöhen die Qualität der Gesundheitsversorgung und verbessern das Wohlbefinden der Patient*innen. Zudem hilft das Projekt, dass die Bedürfnisse von Patient*innen stärker berücksichtigt werden. Damit entsprechen sie den Kernanliegen einer sorgenden Gesellschaft (Caring Society).
Wie geht es weiter mit den Ergebnissen der Studie?
Die Forschenden planen, gestützt auf die Erkenntnisse gewisse Adaptationen am Projekt vorzunehmen und in einem Spital über einen längeren Zeitraum hinweg zu überprüfen. Eine der Anpassungen könnte sein, nur Patient*innen einzubeziehen, bei denen ein hohes Risiko für die Anwendung von einschränkenden Massnahmen besteht. Die Forschenden hoffen, dass so die positiven Auswirkungen des neuen Vorgehens für die Pflegenden augenfälliger werden.
Mehr über das Projekt und die BFH-Expertin dahinter
Die BFH führte das Projekt «Re-Duct» zur Reduktion freiheitseinschränkender Massnahmen im Spital im Rahmen der Akademie-Praxis-Partnerschaft mit der Insel-Gruppe durch.
Es stand unter der Leitung von Silvia Thomann. Sie ist Co-Leiterin des Innovationsfeldes Qualität im Gesundheitswesen, das im Departement Gesundheit der BFH angesiedelt ist. Es befasst sich mit der Qualitätsmessung und -entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege.
Die Forschungsschwerpunkte von Silvia Thomann liegen neben den freiheitseinschränkenden Massnahmen im Spital bei der Qualitätsmessung, der Datennutzung und der Evaluation in der Qualitätsverbesserung.
