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«Innovative Firmen haben erkannt, dass sie fürsorglich sein müssen»
07.07.2025 Stehen Innovationskraft und Rentabilität von Firmen im Gegensatz zu fürsorglichem Verhalten? Nein, sagt Martin Murmann im Interview. Er forscht im Departement Wirtschaft rund um Innovation und Unternehmertum.
Das Wichtigste in Kürze
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Das Führungsverhalten von Unternehmensleitenden hat einen direkten Einfluss auf das Arbeitsklima und die Gesundheit der Mitarbeitenden.
- Ein Forschungsprojekt der BFH untersucht, wie der Druck, unter dem Firmengründer*innen stehen, sich auf ihre Gesundheit, den Erfolg des Unternehmens und die Mitarbeitenden auswirkt.
- Ein Anlass der BFH geht der Frage nach, welchen Beitrag die Wirtschaft an eine sorgende Gesellschaft leisten kann.
Gehen Firmengründer*innen fürsorglich mit sich selbst um?
Firmengründer*innen befinden sich grundsätzlich in einem grossen Spannungsfeld. Zum einen führen sie ein Unternehmen, in dem oft ihr privates Kapital steckt und das vor enormen Herausforderungen steht, denn es ist noch nicht im Markt etabliert. Das führt automatisch zu einem hohen Druck, viel Zeit und Energie aufzuwenden, um die Firma vorwärtszubringen.
Zum anderen finden Gründer*innen im eigenen Unternehmen grosse Erfüllung. Die meisten von ihnen machen sich selbständig, um selbstbestimmt arbeiten zu können und über eine hohe Autonomie zu verfügen. Gleichwohl gibt es zahlreiche Umfragen, die besagen, dass Firmengründer*innen häufig über grossen Stress, Schlaflosigkeit, Angstzustände oder Burnout klagen. Es scheint im Kontext einer Unternehmensgründung schwierig, immer fürsorglich mit sich selbst zu sein.
Wie der Druck in Start-ups die mentale Gesundheit belastet
Unternehmer*innen stehen oft unter grossem Druck: Verantwortung, finanzielle Belastungen und hohe Erwartungen prägen ihren Alltag. Ein Forschungsprojekt der BFH untersucht gemeinsam mit internationalen Partner*innen, wie sich diese Belastungen auf die mentale Gesundheit der Unternehmer*innen, den Unternehmenserfolg und die Karrieren der Mitarbeitenden auswirken. Im Fokus stehen junge Unternehmen in der Gründungs- oder Wachstumsphase. Ziel ist es, wissenschaftlich fundierte Empfehlungen für das Management, politische Entscheidungsträger und das öffentliche Gesundheitssystem zu erarbeiten, insbesondere im Hinblick auf Start-up-Betriebe.
Die Leitung des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projektes hat Prof. Dr. Martin Murmann inne. Er ist Dozent am Institut Innovation and Strategic Entrepreneurship im Departement Wirtschaft. In der Forschung liegen seine Schwerpunkte bei den Themen Humankapital, Personalmanagement und Innovation in Unternehmensgründungen sowie der organisatorischen Gestaltung von Start-up-Firmen.
Haben Sie Beispiele von selbstfürsorglichen Firmengründer*innen?
In den letzten Jahren sind Bewegungen insbesondere im angelsächsischen Raum entstanden, die auf das Thema aufmerksam machen und Gründer*innen beraten, wie sie besser mit den vielfältigen Belastungen umgehen können. Bekannte Exponent*innen wie Arianna Huffington, die die Huffington Post mitgründete, oder Twitter-Erfinder Jack Dorsey beschreiben in Büchern und Podcasts, mit welchen Verhaltensweisen sie den enormen Druck bewältigt haben.
Start-ups sind meistens durch eine Motivationskultur gekennzeichnet.
Woher beziehen Unternehmensgründer*innen ihre Energie und was macht ihnen besonders zu schaffen?
Die grössten Energiequellen – in der Fachsprache Ressourcen genannt – sind bei Firmengründer*innen die hohe Autonomie und die Passion, an dem zu arbeiten, was ihnen Spass macht. Die stärksten Stressoren bilden die Unsicherheit, ob das Unternehmen die Startphase übersteht und die Verantwortung, für das eigene Einkommen, aber auch das Gehalt von Mitarbeitenden und deren Familien sorgen zu müssen.
Als belastender Faktor hinzukommt die komplexe Rolle, in der sich Firmengründer*innen wiederfinden. Auf einmal müssen sie sich um alles kümmern, von finanziellen über personelle bis hin zu technologischen Aufgaben, nachdem sie zuvor vielleicht eine klar definierte Funktion als Fachspezialist*in hatten.
Start-ups stehen im Ruf, besonders viel Engagement und Arbeitsleistung zu verlangen. Stimmt der Eindruck?
Das würde ich bestätigen. In der Anfangsphase einer Firma müssen die vielen anfallenden Aufgaben auf verhältnismässig wenige Köpfe verteilt werden. Das führt zwangsläufig zu einer hohen Belastung. Auch sind Start-ups meistens durch eine Motivationskultur gekennzeichnet. Die Mitarbeitenden identifizieren sich stark mit den Zielen des Unternehmens, sind jederzeit bereit, Sondereinsätze zu leisten und noch einen Extrakilometer zu gehen. Das kann bis zu einer Entgrenzung von Arbeit und Privatleben führen. Was aber nicht ausser Acht gelassen werden darf, ist, dass viele Menschen in Start-ups genau diese Atmosphäre suchen, wo Arbeit und Freundschaft regelrecht verschmelzen.
Es besteht die Gefahr, dass Menschen, die sich die Arbeitsstelle nicht aussuchen können, bei Firmen landen, die wenig fürsorglich sind.
Wie prägen Unternehmensleitende das Arbeitsklima und wie wirkt sich das auf die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden aus?
Studien zeigen, dass die Betriebskultur – zum Beispiel der Umgang mit Teamkonflikten – sowohl auf die Innovation des Unternehmens als auch die Gesundheit der Mitarbeitenden einen direkten Einfluss hat. Diesbezügliche Untersuchungen zu Start-ups gibt es hingegen praktisch keine, weshalb wir in unserer Studie untersuchen, wie sich mentales Wohlbefinden und Führungsverhalten von Unternehmensgründer*innen auf die Mitarbeitenden auswirken (vgl. Kasten oben).
Das Verhältnis zwischen Gründer*innen von Start-ups und ihren ersten Mitarbeitenden ist ein enges. Angestellte betrachten die Gründer*innen oft als Rollenmodelle, weil sie damit liebäugeln, später ebenfalls ein eigenes Unternehmen zu gründen. Die enge Verbindung zeigt sich auch in Studien, die nahelegen, dass Mitarbeitende Start-ups verlassen, sobald die direkte Zusammenarbeit mit den Gründer*innen unterbrochen wird, etwa, wenn dazwischen eine Führungsebene entsteht. Diese Verbundenheit zwischen Gründer*innen und Mitarbeitenden lässt den Schluss zu, dass die Führung in Start-ups das Arbeitsklima noch stärker prägt als in etablierten Firmen.
Kann ein Unternehmen gleichzeitig fürsorglich und innovativ sein?
Viele der fürsorglichsten Unternehmen sind auch innovativ oder andersherum gesagt: Innovative Firmen haben erkannt, dass sie fürsorglich sein müssen, um die besten Mitarbeitenden anziehen zu können. Grosse Techkonzerne etwa bieten ihren Beschäftigten in den USA, wo es wenig Vorgaben in Sachen Sozialleistungen gibt, beste Bedingungen: von Elternzeit über Krankenversorgung und Rentenvorsorge bis hin zu psychologischer Betreuung. Fürsorgliches Verhalten von Unternehmen wirkt sich wiederum positiv auf ihre Innovationskraft aus. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass Menschen, die sich die Arbeitsstelle nicht aussuchen können, bei Firmen landen, die wenig fürsorglich sind.
Wirtschaft und sorgende Gesellschaft
Eine sorgende Gesellschaft (Caring Society) kümmert sich um das Wohl aller Menschen. Mit dem strategischen Themenfeld Caring Society will die BFH beitragen, dass die Sorge in unserer Gesellschaft mehr Gewicht erhält.
Zentral für das Funktionieren einer Gesellschaft ist auch die Wirtschaft. Welche Rolle spielt sie in einer Caring Society? Dieser Frage geht der Fachtag «Wirtschaft und Fürsorge: Kein Widerspruch» am 4. September nach. Dabei sollen auch konkrete Ansätze für eine unternehmerische Mitgestaltung einer sorgenden Gesellschaft diskutiert werden.
Was zeichnet für Sie eine fürsorgliche Firma aus?
Eine fürsorgliche Firma macht ihren Mitarbeitenden Unterstützungsangebote, wo sie Bedarf haben. Das kann bei der familienexternen Kinderbetreuung sein, bei gesundheitlichen Problemen oder in der Altersvorsorge. Die Leistungen einer fürsorglichen Firma gehen dabei deutlich über das Feigenblatt des Obstkorbes hinaus, der im Pausenraum steht.
Was bräuchte es, damit Unternehmen fürsorglicher werden?
Viele Unternehmen, die fürsorglich sein möchten, haben die dafür nötige Kultur und die Strukturen bereits geschaffen. Bei Firmen, denen dies noch nicht so wichtig ist, kann ein Mindestmass an staatlichen Vorgaben helfen, zu verhindern, dass sich die Schere zwischen Menschen, die Jobs bei den «besten» Betrieben bekommen, und jenen, die nur bei weniger fürsorglichen Unternehmen Arbeit finden, weiter öffnet.