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Eine Kugel Kindheit
03.07.2025 Eiskalt und cremig-zart: So lieben wir Glace. Doch wie gelingt sie ganz ohne Rahm, dafür mit pflanzlichen Zutaten – und ohne Kompromisse eingehen zu müssen? Die BFH-HAFL forscht mit Cuckoo Ice Cream an der perfekten veganen Glace.
Das Wichtigste in Kürze
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Die BFH-HAFL und Cuckoo Ice Cream entwickeln gemeinsam eine vegane Glace, die dem klassischen Rahmglace in nichts nachstehen soll – ganz ohne Zusatzstoffe.
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Ein innovativer Herstellungsprozess und sorgfältig ausgewählte Rohstoffe sind der Schlüssel zur überzeugenden pflanzlichen Glace-Alternative.
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Das Projekt vereint angewandte Forschung, Praxis und Lehre – mit dem Ziel, ein marktreifes Produkt zu schaffen.
Vor ein paar Jahren war die Auswahl simpel: Wer auf tierische Zutaten verzichtete, durfte mit einer Wasserglace Vorlieb nehmen. Heute sieht es in den Kühltruhen anders aus – das Angebot an veganer «Ice Cream» wächst stetig. Doch viele Alternativen kommen geschmacklich und in der Konsistenz nicht an die Glace heran, wie wir sie aus Kindertagen kennen. Hier setzt das Forschungsprojekt «veganes Eiswunder» an. Die Vision? Nichts weniger als die perfekte vegane Glace.

Je kälter umso feiner
Ice Cream: Cremig soll sie sein, luftig, süss, auf der Zunge zergehend. Um das mit pflanzlichen Zutaten zu erreichen, braucht es oft Hilfsmittel wie etwa Emulgatoren, die Fett und Wasser verbinden. Das wollen Cuckoo Ice Cream und das Forschungsteam der BFH-HAFL rund um die Forschungsgruppen «Lebensmittelprozesstechnologie und nachhaltige Innovation (FPTSI)» und «Innovationsmanagement, Sensorik und Ernährung (TIMSE)» anders machen – mit einer möglichst «cleanen» Zutatenliste.
Die Basis der Rezeptur bilden pflanzliche Alternativen wie sie auch in anderen veganen Produkten verwendet werden – in diesem Projekt wird die Rezeptur aber gezielt weiterentwickelt. Neu ist der innovative Herstellungsansatz mit möglichst tiefen Temperaturen während des Gefrierprozesses. «Durch dieses spezielle Verfahren entsteht eine besonders feine, cremige Textur», erklärt Prof. Dr. Christoph Denkel, Fachgruppenleiter FPTSI an der BFH-HAFL.
Durch unser spezielles Verfahren entsteht eine besonders feine, cremige Textur.
Auf Geschmacksprobe
Eine der grossen Herausforderungen bei der Herstellung veganer Glace ist der Geschmack. Milch ist ein hervorragender Geschmacksträger, weil sie sehr neutral ist und wir seit Kindheit daran gewöhnt sind. Pflanzliche Alternativen bringen dagegen eigene Aromen mit wie bitter oder nussig. Wie lässt sich das umgehen?
Zunächst braucht es ein Screening, um herauszufinden, welche Zutaten sich geschmacklich eignen. Dafür gibt es Produktmuster, die sorgfältig verkostet werden. «Denn nicht alle pflanzlichen Alternativen haben Fehlaromen oder sind bitter. Es gibt nahezu geschmacksneutrale Varianten», weiss Mark Kozamernik, wissenschaftlicher Assistent (FPTSI). Und das ist wichtig, denn im Projekt wird mit Vanille gearbeitet – ein besonders feines Aroma. «Wenn wir es mit Vanille schaffen, dann funktionieren auch Sorten wie Schokolade oder Caramel», sagt Patrick Bürgisser, Fachgruppenleiter TIMSE an der BFH-HAFL.

Noch cremiger
Der «Overrun» ist entscheidend für den Glace-Genuss: Gemeint ist die Luft, die beim Herstellen durch einen Rotationsprozess in die Masse eingebracht wird. Je mehr Luft enthalten ist, umso cremiger wirkt die Glace. Dr. Mario Arcari, wissenschaftlicher Mitarbeiter (FPTSI): «Was bei Milch-Rahm aufgrund langjähriger Erfahrung einfach funktioniert, liesse sich mit Emulgatoren mit pflanzlichen Zutaten nachahmen. Aber das wollen wir vermeiden. Unser Ziel ist eine luftige Masse ohne Zusatzstoffe.»
Damit dies gelingt, muss sich die Luft gleichmässig in der Masse verteilen und durch andere Inhaltsstoffe strukturell stabilisiert werden. Nur so entsteht ein stabiles Gefüge, welches Textur-sensorisch überzeugt. «Erst durch ein abgestimmtes Zusammenspiel zwischen Rohstoffen und Prozess erhalten wir am Ende eine Glace mit cremiger Textur, die wie das altbekannte Pendant langsam auf der Zunge und nicht schon im Becher schmilzt», so Christoph Denkel. Wie sich dieses Zusammenspiel mit pflanzlichen Zutaten erreichen lässt, daran wird im Projekt aktuell intensiv geforscht.
Unser Ziel ist eine luftige Masse ohne Zusatzstoffe.
Zusammenarbeit mit Praxisbezug
Die BFH-HAFL bringt ihr Know-how in pflanzlichen Rezepturen und Lebensmitteltechnologie ins Projekt – von der Homogenisierung über das Pasteurisieren bis hin zur optimalen Freezing-Technologie. Auch die sensorische Begleitung erfolgt durch das HAFL-Team. Patrick Bürgisser: «Für uns sind solche Projekte eine wertvolle Gelegenheit, praxisnah neues Wissen zu generieren.»
Die Industriepartner – wie Cuckoo Ice Cream – profitieren von wissenschaftlich fundierten Lösungen, Erfahrung und fachlicher Unterstützung. «Die Zusammenarbeit mit der BFH-HAFL bringt wertvolle Perspektiven in unsere Produktentwicklung. Gemeinsam loten wir aus, was mit pflanzlichen Zutaten technologisch und geschmacklich möglich ist», so Christian Jehli und Dr. Stephan Bolliger, Inhaber von Cuckoo Ice Cream. Auch die Akquise von Fördermitteln, etwa bei Innosuisse, übernimmt die BFH-HAFL.
Für die Studierenden sind solche Projekte ebenfalls wertvoll: Sie arbeiten an realen technologischen Herausforderungen, übernehmen sensorische Tests oder befragen Konsument*innen. Dabei lernen sie wissenschaftlich vorzugehen, mit Unsicherheiten umzugehen, Fristen einzuhalten und kreative Lösungen zu entwickeln. «Sie sammeln Erfahrungen in Projektmanagement und im Umgang mit verschiedenen Stakeholdern», so Bürgisser.
Für uns sind solche Projekte eine wertvolle Gelegenheit, praxisnah neues Wissen zu generieren.
Perfekt? Perfekt!
Die Rezeptur stimmt, der feine Vanillegeschmack kommt bestens zur Geltung. Und doch: Die vegane Glace schmeckt noch nicht exakt wie klassisches Rahmglace. «Hardcore-Glace-Fans werden wir wohl momentan nicht umstimmen», resümiert Pauline Rouchon, wissenschaftliche Mitarbeiterin Consumer Science (TIMSE), «Glace-Liebhaber*innen aber dürften auf den Geschmack kommen.»
Bis August wird weitergeforscht, um den perfekten Overrun zu erhalten. Das Resultat soll ein marktreifes Produkt sein, das Cuckoo Ice Cream in einem ersten Schritt in ihren Boutiquen in Basel, Bern und Luzern verkaufen wird. Was bleibt? «Die Erkenntnis, dass Perfektion relativ ist und dass die perfekte Glace nur durch beharrliche und kompromisslose Entwicklungsarbeit entstehen kann», resümiert Patrick Bürgisser.
Ja, unsere Geschmackserwartung sind geprägt von jahrzehntelanger Rahmglace-Tradition und damit von unzähligen Kindheitserinnerungen – ein pflanzliches Pendant erfordert ein wenig Umdenken.