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Digitale Inklusion als Vorteil für alle

25.04.2025 Digitale Inklusion wird durch anstehende gesetzliche Veränderungen noch wichtiger für Organisationen. Sarah Ebling (Uni Zürich) und Thomas Gees (BFH) ordnen ein und erklären, wo sie ansetzen würden.

Das Wichtigste in Kürze

  • Barrierefreiheit online wird aktuell noch oft vernachlässigt.
  • Die Gesetzgebung zum Thema digitale Barrierefreiheit wird strenger.
  • Neu werden auch private Anbieter*innen verstärkt in die Pflicht genommen.
  • Unternehmen brauchen Expert*innen, die Online-Barrierefreiheit implementieren können.
  • Barrierefreiheit kostet viel, bringt aber unerwartet viele Vorteile.

Untertitel bei Videos, Tastaturnavigation, einfache Sprache? Wer eine App, eine Website oder Online-Inhalte entwickelt, stellt Fragen der Barrierefreiheit heute oft noch gerne hinten an. Wichtiger scheint, dass das Design frisch und die Inhalte beizeiten online sind. Doch diese Nonchalance wird schon bald nicht mehr geduldet. Es ist nämlich absehbar, dass das teilrevidierte – und deutlich strengere – Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) 2026 in Kraft treten wird. Gleichzeitig erhöhen gesetzliche Entwicklungen, wie etwa die Einführung des European Accessibility Act (EAA), den Druck auf Organisationen und Unternehmen in der Schweiz.

Weiterbildung: CAS Digitale Inklusion und Barrierefreiheit

Die Weiterbildung gibt Teilnehmenden das Wissen und die Werkzeuge an die Hand, um digitale Technologien für alle zugänglich zu gestalten und nutzbar zu machen. Dabei legen Studierende einen besonderen Fokus auf die Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigungen und lernen, wie nationale und internationale Accessibility-Standards richtig angewandt und implementiert werden.

Durch die anstehende Anpassung des BehiG gewinnt digitale Inklusion im öffentlichen und im privaten Sektor an Bedeutung: Die Nachfrage nach Fachleuten im Bereich digitale Inklusion steigt. Das Weiterbildungsangebot der Universität Zürich und der BFH reagiert auf dieses Bedürfnis. Erstmals durchgeführt wird das CAS Digitale Inklusion und Barrierefreiheit im Herbstsemester 2025.

Sarah Ebling und Thomas Gees lancierten das CAS gemeinsam. 

Sarah Ebling ist Professorin für Sprache, Technologie und Barrierefreiheit am Institut für Computerlinguistik der Universität Zürich. Verantwortlich für die Entwicklung der technischen Aspekte des CAS Digitale Inklusion und Barrierefreiheit.

Thomas Gees ist Stellvertretender Leiter der Fachgruppe Public Sector Innovation der BFH und Dozent. Verantwortlich für die übergreifenden und organisatorischen Aspekte des CAS Digitale Inklusion.

Barrierefreiheit wird zum Muss

Dadurch ändere sich einiges, so Sarah Ebling. Sie ist Professorin für Sprache, Technologie und Barrierefreiheit an der Universität Zürich. Neu sollen digitale Dienstleistungen – ob öffentlich oder privat – grundsätzlich für alle zugänglich sein. Das heisst auch: Wer bestehende Angebote auf Barrierefreiheit nachrüsten muss, steht unter Umständen vor grösseren Aufwendungen.

PDFs, die nicht per Tastatur ausfüllbar oder von einem Screenreader lesbar sind, sind das Paradebeispiel für nicht barrierefreie Inhalte.

  • Thomas Gees Stv. Leiter Fachgruppe Public Sector Innovation

Entsprechend gross ist die Unsicherheit sowie der Bedarf nach Information und Expertise. Das ist verständlich, findet Thomas Gees, der zusammen mit Sarah Ebling eine Weiterbildung zum Thema lanciert hat. Erst mit dem neuen Behindertengleichstellungsgesetz werde für viele deutlich: «Die Phase von ‹kann› ist vorbei. Barrierefreiheit ist neu ein Muss».

Paradebeispiel PDF

Doch worum geht es eigentlich, wenn wir von digitaler Barrierefreiheit sprechen? Sarah Ebling fasst es so zusammen: «Wir konzentrieren uns auf den Zugang zu digitaler Information und Kommunikation, also z.B. Websites und Apps, aber auch PDF- und Word-Dokumente.» Denn wer aufgrund einer sensorischen Einschränkung digitale Tools nicht nutzen könne, sei von der Teilnahme am digitalen Leben ausgeschlossen.

Tastatur mir Brailleschrift
Automatische Übersetzung in Gebärdensprache ist derzeit noch nicht marktreif, könnte aber dereinst Teil einer Lösung hin zu mehr digitaler Inklusion sein.

«PDFs, die nicht per Tastatur ausfüllbar oder von einem Screenreader lesbar sind, sind das Paradebeispiel für nicht barrierefreie Inhalte», ergänzt Thomas Gees. Hier werde der Zugang zum Beispiel für Menschen mit Sehbehinderung klar eingeschränkt. Aber auch bereits zu komplizierte Sprache kann dazu führen, dass Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder Migrationshintergrund Ressourcen nicht nutzen können.

Anbieter in der Verantwortung

Das revidierte BehiG verpflichtet nun Anbieter*innen dazu, ihre Angebote möglichst für alle zugänglich zu machen. Das ist auch richtig so, darin sind sich Thomas Gees und Sarah Ebling einig. Man sehe zwar eine vermehrte Nutzung assistiver Technologien. Diese Technologien erstellen etwa automatisch Untertitel für Gehörlose oder beschreiben Sehbehinderten in gesprochener Sprache, wie ihre Umgebung aussieht.

Barrierefreiheit ist teuer, da muss man sich nichts vormachen.

  • Sarah Ebling Professorin Institut für Computerlinguistik, Universität Zürich

Momentan sei hier die Qualität aber noch nicht durchgehend ausreichend. «In vielen Bereichen braucht es den Menschen immer noch», ist Sarah Ebling überzeugt, «denn die neuen KI-Tools sind einfach noch nicht so gut, dass wir uns voll auf sie verlassen können.» Auch Thomas Gees sieht es positiv, dass Nutzer*innen sich mit neuen Tools selber zu helfen lernen. Aber grundsätzlich gehen die beiden davon aus, dass die Absender*innen von digitaler Information möglichst viele Barrieren aus dem Weg schaffen sollten.

Wirtschaftlich barrierefrei

«Das ist teuer, da muss man sich nichts vormachen», gibt Sarah Ebling offen zu. Allerdings könnten die Kosten von Barrierefreiheit einerseits durch frühzeitiges Aufgreifen in der Planung reduziert werden. Und Barrierefreiheit bringe oft eine ganze Reihe unerwarteter Benefits mit sich. Der Code von Apps werde schöner und leichter bearbeitbar, einfache Sprache und strenge Strukturierung von Dokumenten helfen allen beim Verständnis, und Untertitel für Gehörlose kommen auch jenen zugute, die im Zug Videos ohne Ton konsumieren.

«Es ist wie mit den abgesenkten Trottoir-Rändern», veranschaulicht Thomas Gees. Diese habe man ursprünglich für Menschen im Rollstuhl eingeführt. Später habe man aber gemerkt, dass von der Accessibility-Massnahme ein sehr viel breiteres Publikum profitiert. Eltern mit Kinderwagen, Fahrradfahrer*innen, Skateboarder*innen und Fussgänger*innen, die beim Gehen ihre Feeds checken; sie alle profitieren von barrierefreien Trottoirs.

Umdenken und Umsetzen

«Wir müssen in punkto Barrierefreiheit umdenken», erklärt Sarah Ebling. Es gehe nicht nur darum, etwas für Menschen mit Behinderung zu tun. Entscheidend sei, dass Accessibility den Austausch ermögliche. Denn damit erschliesst die Gesellschaft eine weitere Gruppe potenzieller Fachkräfte, Kund*innen oder Stimmbürger*innen. Und davon profitierten alle Menschen, ob mit oder ohne Beeinträchtigung.

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