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Agrarpolitik Forum 2025: «Wie kriegen wir die Kurve?»
02.09.2025
Zwei Tage lang drehte sich an der BFH-HAFL alles um die drängenden Fragen der Agrar- und Ernährungspolitik. Unter dem Leitmotiv «Wie kriegen wir die Kurve?» diskutierten Wissenschaft, Politik, Praxis und Studierende über den Strukturwandel in Landwirtschaft und Gesellschaft.
Die Direktorin der BFH-HAFL, Ute Seeling, machte in ihrer Begrüssung deutlich, dass Landwirtschaft längst nicht mehr nur Stall und Acker bedeutet. Klima, Demografie, Märkte – all diese Kräfte verändern Strukturen, in der Landwirtschaft ebenso wie in der Ernährungswirtschaft. Für Forschung und Lehre sei diese Dynamik ebenso spannend wie herausfordernd: «Was bedeutet der Strukturwandel für unsere Absolventinnen und Absolventen? Wie verbinden wir das Nötige mit dem Möglichen?»
Hansjürg Jäger, Dozent Agrarpolitik und -märkte an der BFH-HAFL und Verantwortlicher für das Forum, veranschaulichte in seiner Einführung die Ausgangslage. Heute gibt es in der Schweiz noch rund 47'000 aktive Landwirtschaftsbetriebe – 20'000 weniger als noch vor 25 Jahren. Gleichzeitig arbeitet nur noch knapp drei Prozent der Bevölkerung im ersten Sektor. Eine Gesellschaft, die altert, ein Sektor, der schrumpft: «Wie kriegen wir die Kurve?», fragte Jäger. Seine Botschaft: Wir brauchen Strategien, die nicht nur reagieren, sondern gestalten.

Die junge Generation meldet sich zu Wort
Besonders eindrücklich war der Beitrag von Muriel Reimers und Jonas Zbären, die sich mit den Erwartungen der jungen Generation befasst haben. Sie wünschen sich mehr Offenheit, mehr Mitsprache, und vor allem eine Landwirtschaft, die auch in 20 Jahren noch Perspektiven bietet. (Interview mit den beiden jungen Stimmen: Agrarpolitik neu gedacht: Was die nächste Generation will)
Christina Bachmann-Roth, Präsidentin der Mitte-Frauen Schweiz, blickte im Anschluss über die Landwirtschaft hinaus auf die gesamte Gesellschaft. Mit ihrem «Grossmutter-Test» brachte sie komplexe Themen auf den Punkt: «Versteht das auch die Grossmutter?»
Bachmann-Roth betonte, wie stark der demografische Wandel unser Leben bereits prägt: Gefühlt gebe es mehr Rollatoren als Kinderwagen, dem Arbeitsmarkt fehlen jährlich 30'000 Menschen. Ihre Schlussfolgerung: Ohne Nettozuwanderung, bessere Arbeitsanreize und mehr Gleichstellung wird die Lücke nicht zu schliessen sein.
In der offenen Diskussion im Plenum wurde spürbar: Der Fachkräftemangel betrifft Landwirtschaft, Pflege, Industrie und Energie gleichermassen. Oft müssen Headhunter, wie Christina Bachmann-Roth, Überzeugungsarbeit leisten, damit Arbeitgeberinnen und Arbeitsgeber überhaupt ältere Bewerbende einladen. Auch Quereinsteigende könnten eine Chance sein, doch die Strukturen ändern sich nur langsam, so Bachmann-Roth.
Stimmen zum Agrarpolitik Forum 2025 (Video: AGIR Agence d'information agricole romande)
Strukturwandel in Zahlen
Pierrick Jan von Agroscope präsentierte Erkenntnisse aus einer Forschungsarbeit über 25 Jahre Strukturwandel, die er mit seinem Forscherkollegen, Alexander Zorn, erarbeitet hat. Das Bild ist eindeutig: weniger Betriebe, grössere Flächen, mehr Technik, tiefere Produzentenpreise. In Zahlen: Die durchschnittliche Nutzfläche stieg in der Schweiz seit 1999 von 15,3 auf 23,5 Hektaren, die Zahl der Betriebe sank von 67'906 auf 43'738. Parallel dazu klaffen die Einkommen je nach Betriebsgrösse weit auseinander. Jans Fazit: Der Strukturwandel ist nicht aufzuhalten, aber gestaltbar. Digitalisierung, Klimawandel, Anpassungen im Bodenrecht und die Bereitschaft der Konsumentinnen und Konsumenten, für nachhaltige Produkte mehr zu bezahlen, werden entscheidend sein.
Für Abwechslung zwischen den Input-Referaten sorgten Videobeiträge von HAFL-Studierenden. Mit viel Kreativität zeigten sie, wie Landwirtschaft in Zukunft aussehen könnte – von neuen Betriebsmodellen bis hin zu Forderungen nach kostendeckender Produktion auf Familienbetrieben. Ihre Beiträge machten deutlich: Der Nachwuchs denkt visionär und will mitreden.
Der Familienbetrieb im Spiegel der Geschichte
Zum Abschluss des ersten Tages spannte Andreas Wasserfallen, Jurist und Agronom, den historischen Bogen. Er zeigte auf, wie das bäuerliche Bodenrecht seit 1947 immer wieder angepasst wurde – und doch stets an der Vorstellung vom Familienbetrieb festhielt. Heute aber, so seine klare These, stimme diese Definition längst nicht mehr mit der Realität überein. Viele Höfe seien Ein-Mann- oder Ein-Frau-Betriebe, oft mit extern arbeitenden Partnern. «Setzen wir dem Familienbetrieb ein Denkmal – aber nicht im Gesetz,» forderte Wasserfallen. Das bäuerliche Bodenrecht müsse grundlegend neu gedacht werden.
Um neues Denken ging es auch in den Workshops. Dort wurde deutlich, wie vielfältig die Antworten auf die Frage nach zukunftsfähigen Strukturen in der Landwirtschaft sein können. Es gibt gute Möglichkeiten, um Strukturen neu zu gestalten: Angebote wie Care-Farming, Gastronomie, Solidarische Landwirtschaft, Betriebszweig- und Betriebsgemeinschaften sind heute schon möglich. Auch ausserfamiliäre Hofübergaben können gestärkt werden.
Mut, über alte Grenze hinauszugehen
Das Agrarpolitik Forum 2025 machte deutlich: Der Strukturwandel ist da – in der Landwirtschaft, in der Gesellschaft, im ganzen Wirtschaftsgefüge. Die grosse Herausforderung liegt darin, nicht nur auf Entwicklungen zu reagieren, sondern sie aktiv zu gestalten. Ob durch Zuwanderung, Digitalisierung, Bodenrechtsreformen oder neue Betriebsmodelle – die Lösungen werden vielfältig sein müssen. Und sie brauchen den Mut, über alte Grenzen hinauszugehen.
Die zentrale Frage «Wie kriegen wir die Kurve?» bleibt damit offen – auch nach dem zweiten Tag, an dem der Blick nach Österreich und Frankreich ging. Klar wurde aber: Der Wille, Antworten zu finden, ist da – bei Politik, Forschung, Praxis und nicht zuletzt bei der jungen Generation, die ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen will.
Das Agrarpolitik Forum 2025 im Überblick
BFH-HAFL, Inforama und Alumni BFH
Das Schweizer Agrarpolitik Forum wird seit 2018 von der BFH-HAFL, dem Inforama und den BFH-HAFL-Alumni ausgerichtet. Die Diskussionsplattform für einen konstruktiven Dialog zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik sorgt für Generationenübergreifenden Austausch und fördert das pragmatische Vorgehen.
Übrigens: Das Schweizer Agrarpolitik Forum 2026 findet am 27. und 28. August 2026 statt. Jetzt den Termin reservieren!
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Rubrik: Konferenz